Samstag, 30. August 2014

Elendiges Dazugehören // Portland nach San Fran


Marie im coolen Portland-Zimmer

Als ich die Tür öffne, faltet der alte Indianer gerade Zeltplanen zusammen, die sein Überleben in der Wüste sicherstellen sollen. Er tut es akribisch, aber ein bisschen liederlich. Es ist harte Arbeit. Dann öffnet der Indianer seinen Mund und ist eine Frau. Marina, die im nördlichsten Teil Kaliforniens in einer 2000-Einwohner-Stadt wohnt, eine Überlebenskünstlerin, eine Überlebende. Die Linien im Gesicht, die drahtige Vehemenz ihres Auftretens, das musikalisch Gestikulierende: hier hat jemand viel gesehen, viel gefühlt, aber auch viel ausgehalten. Marina ist keine Durchreisende und auch keine Hängengebliebene - ihr Aufenthalt im Green Tortoise Hostel in San Francisco ist geplant, minutiös. Sie ist eine von etwa 100 Green Tortoise Gästen, die am nächsten Morgen nach Nevada in die Black Rock Desert aufbrechen werden, zum Burning Man.* Marina wollte anlässlich ihres jüngsten Geburtstages mit ihren Kindern verreisen, doch die Kinder hatten eigene Pläne, wollten oder konnten nicht. Da schenkte sich Marina kurzerhand Burning Man selbst zum Geburtstag. Zu ihrem 70.

Marina rümpft die Nase, als ich ihr erzähle, dass ich grad aus Portland komme, sie ist in Portland geboren und aufgewachsen. "It's such a dirty city, I hate dirty cities." Dirty? Ich muss mich wohl verhört haben, aber ein Eintrag auf Wikipedia sagt mir tatsächlich, dass Portland lange den Ruf hatte, dreckig, also kriminell und runtergekommen, zu sein. Not for a long time since though. Portland ist jetzt Hipstertown. Außerdem ist sind dank ihrer 1000 Rosensorten die City of Roses und noch dazu Brückenstadt: 14 Brücken verbinden die Stadtteile entlang der Ufer des breiten, eleganten Willamette Rivers und des Columbia Rivers. Portland ist individuell, ökologisch bewusst lebend, zivilgesellschaftlich engagiert. Portland ist - wenn man über die Brücke aus Downtown rausfährt- bunt, gemütlich, relaxt und trotz Hipstereskität erstaunlich unprätentiös, ein bisschen im Hippiemodus.

Die WG passt dazu wie die Faust aufs Auge. Kelsy, mein Airbnb-Gastgeber, ist selbst in Europa, aber Olivia - deutsche Fulbrightstudentin im Fachgebiet "Colloborative Design" - und Marcus - der als Taxifahrer arbeitet, bekomme ich zumindest peripher zur Gesicht. Sie haben schicke ausrasierte Haare und sorgfältig gedrehte Minidreads. Die WG ist LGBT-friendly und der Kühlschrank quillt über mit veganen, selbst gemachten Köstlichkeiten. Das Haus ist gemütlich-eklektisch möbliert und duftet leicht nach Patchouli, das Futonbett ist verboten bequem, obwohl man die Interstate permanent rauschen hört.
Hauptschlagadern des jungen, alternativen Lebens in Portland sind Hawthorne, Mississippi und Alberta, ein schöner Vintage- oder Lifestyle-Store neben dem nächsten, Foodcarts -mobile kleine Wägelchen, die mit ihren Köstlichkeiten durch die Stadt touren- an jeder Ecke, jeder Laden winkt mit originellen, personalisierten Botschaften oder den jeweiligen Speiseaufgeboten in wunderbarer Oldschool-Schreibe auf Schiefertafeln, an jeder Ecke steht jemand und verteilt Flyer (ganz großes Thema im bewusst lebenden Portland: GMO-Verbote).

Ich lasse mich also auf dem Fahrrad - dessen Stoßstange mir, sicherlich unbeabsichtigt, einen weiteren blauen Fleck auf dem gleichen Knie beschert, sodass das Gehen ziemlich weh tut - durch die Stadt treiben, trinke einen freshly brewed coffee auf einem weiteren Farmers Market. Auf der Suche nach einem guten, günstigen Abendessen sehe ich plötzlich den Hippie und Spaßvogel im Pub sitzen, der mir das Fahrrad im Laden ohne Helm ausgeliehen hat. Ich setze mich zu ihm und bestelle das Pubessen schlechthin: cheddarüberbackene Pommes. Der Spaßvogel heißt Chris und wir trinken Bier und sprechen über die Zeit, in der er mit einer befreundeten Punkband durch Europa inklusive Schwaben tourte. "Oh Stuttgart. Yes, I know Stuttgart. The band played in Esslingen." Die Welt bleibt klein. Wegen Chris verpasse ich dann auch Snowpiercer in einem der speak-easy-Kinos, in denen sie einem das frisch gezapfte IPA zum Platz bringen. Aber so ist das wohl: selbst das favorisierte Reiseprogramm verliert gegen die zwischenmenschliche Begegnung. In jedem Fall beschleicht mich beim Verlassen Portlands das Gefühl, hier wohl länger sein zu können, obgleich ich mir nicht sicher bin, ob ich in diese hippe Gemütlichkeit passe, obgleich ich mir sicher bin, dass ich wohl nicht so artsy und positiv-engagiert bin wie der DurchschnittsHawthornianer.

Das positive Portlandgefühl würde ich auch gern Marina, dem alten Indianer im Hostel, vermitteln, aber sie würde mir wohl nicht glauben. Sie ist ohnehin viel zu sehr im Burning-Man-Fieber, genau wie Susi und Jen, mit denen ich auch ein Zimmer teile. Die beiden sind um die 30 und stellen grad den eigenen Status Quo in Frage. Und das sind die Burning-Man-Sachverhalte, die sie umtreiben: Was werde ich tragen, wie soll es zusammengenäht sein, da müssen noch Perlen dran. Wie wird das mit dem feinen Wüstensand? Soll man überhaupt versuchen, irgendwo zu duschen? Nur Eyecandy-Shopping oder einfach mit jedem schlafen, der einem gefällt? Nach drei Stunden Burning Man Talk bin ich mir immer noch nicht sicher, ob ich da jemals hin möchte, ob ich Burning Man für ein echtes Gruppengefühl der Inklusion und Toleranz oder einfach für einen Szenepseudohippieveranstaltung halten soll. Ich möchte irgendwie dazugehören und gleichzeitig nicht. Mein ewiges Dilemma. Mit dem Portlandhipstergefühl durchaus vergleichbar.

Am Dienstagmorgen sind die Busse weg, mein Zimmer leer und ich muss mich - allen wunderbaren Begegnungen zum Trotz- Gott sei Dank nicht mehr fragen, ob ich Teil der Gruppe sein will. Ich bin einfach wieder Marie, allein, in einer der coolsten Städte der Welt.

*Link für alle bisher Unbedarften, und hier Bilder aus diesem Jahr: http://www.theguardian.com/culture/gallery/2014/aug/30/burning-man-festival-in-pictures

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