Montag, 18. August 2014

Leaving no-no-fun-city

"You're so lucky to Live in Vancouver." Chris nimmt einen Schluck Red Truck, seufzt hörbar , und stimmt in seinen Hate-Talk ein, der immer folgt, wenn man ihm zu seinem aktuellen Wohnort gratulieren möchte. Langweilig sei Vancouver, behäbig, provinziell, auch zwei Uhr Neujahr stünde keine alte Sau mehr auf der Straße und feiere. Wir würden schon noch sehen. Dann streicht sich Chris die Haare aus dem Gesicht und lacht. Er sieht aus wie die 90er, die coolen 90er. Längeres Haar, das fettig, aber auch gegelt sein könnte, dazu Dreitagebart, außerdem Jeans und Boots, ein weites Holzfällerhemd, eine Mischung aus Jordan Catalano aus My so-called Life und Curt Cobain. Das Moose ist ein Hardrockschuppen mit trashigen 80s-Videos, 6-Dollar-Burgern und BHs, die dekorativ über der Theke baumeln. Chris wirkt wie Inventar. Es ist schwer, unter diesen sympathischen Umständen seinen Worten Glauben zu schenken. Wenn es das Moose gibt, dann muss die Stadt doch  pulsieren, toben. Oder nicht?

Die Crowd macht's.

Chris behält nur peripher Recht, aber vielleicht liegt das am allgemeinen Ausnahmezustand, der einen Abend für Abend nach der SIGGRAPH in gefühlt alle KneipenVancouvers bugsierte. Mixer, Reception, Party wurde das Kind genannt. Steamworks Brewery, Lamplighter Pub, Balckbird Public House, Railway Club waren Veranstaltungsorte und oft war der Gin Tonic fatalerweise umsonst. Und ja: in Restaurants wird um zehn manchmal wirklich aggressives Deckenlicht zum Verscheuchen der Gäste angewendet, in Clubs wird um Punkt drei die Musik ausgestellt und nachts wirken die Straßen in der Tat wie ausgestorben, zumindest unter der Woche. Aber das wird halt schnell egal, wenn die Crowd stimmt. Seien es die Arbeitskollegen oder die Studenten, die beim FMX-Stand ausgeholfen haben. Sei es besagter Chris mit seiner Freundin Debbie, und bekannte Gesichter auf den Abendveranstaltungen sowie neue Bekanntschaften, mit denen man unbeschwert ins Quatschen kommt. Dann entstehen Abende, an denen sich Gläserklirren und dahin gesagte Sätze im Gedächtnis einlagern. Feststellungen a la "ich find es wichtig, dass man seine ganzen Jugendkomplexe und -Traumata für immer mit sich rumschleppt," finden Platz neben leidenschaftlichen Plädoyers für die Annilihation des Singer-Songwriter-Genres und Streitgesprächen über die vermeintliche Erträglichkeit der Serie "Girls."

Junkie-Wohnzimmer und Hipsterviertel

Mit dem Ende der SIGGRAPH werden also die Abende auch nicht kürzer. Dafür ist der Heimweg länger: Dank lieber kanadischer Bekannter darf ich unweit des Commercial Drive nächtigen, das man sich ungefähr wie eine Mischung aus Neukölln und Williamsburg vorstellen kann. Ein besonders symapthisches Hipsterviertel, das zu beiden Enden hin wieder vancouver-typisch in Problembezirke ausfranst - besonders Richtung Downtown, rund um die Hastings, dem notorischen Drogenviertel. Hier spielt sich das ganze Junkie-Leben sichtbar auf der Straße ab, hier wird offen Crack geraucht, Heroin gekauft, verkauft, gespritzt, hier wird campiert, gehaust, wertloser Tand verkauft. Alles könnte ja der nächste Schuss sein. Und der 20er-Bus fährt mittendurch, rein ins schnieke Hipstertown, mit den schönen Cafés, Boutiquen, Gemüsemärkten, Tattoo Studios und schier endlosen Cannabis-Kliniken, in denen Gras verkauft wird. Ich mache den Widerspruch der Vancouverianer also voll mit. Der Bildvergleich sagt alles: Commercial Drive und E Hastings.

Ich mach dann auch nicht nur einen Großeinkauf inklusive Tofurky (soon viele Sorten, das Glück, das Glück), sondern trinke auch Kaffee in einem Laden mit hölzernen Barhockerunikaten und grandioser Überbesetzung - eine Angestellte verbringt ihre Zeit damit, ihrerseits Kaffee zu trinken und Oldschool-HipHop-Platten aufzulegen. Gemütlich. Zwischen strömenden oder eher: schlendernden Passanten immer wieder feiner Marijuhana-Duft, die in die Cannabis-Kliniken Einkehrenden wirken naturgemäß nicht wie Schmerzpatienten, sondern wie Medienmenschen, die grad den Feierabend einläuten möchten. Diese weirde Stadt.

Das reduzierte Touriprogramm 

Ergänzend zum Stadtprogramm gibts natürlich auch die Natur. Ich bekämpfe den Touristen in mir, der am liebsten alle Sehenswürdigkeiten in wenige Tage pressen möchte, und entscheide mich damit gegen Grouse und Whistler Mountain, aber für eine Fahrradtour durch den Stanley Park - ein 400 Hektar großer Stadtpark mit Stränden, Bars und viel zu vielen fotogenen Aussichten - Granville Island mit seinem Public Market (vegetarian Potstickers ftw)  sowie Kitsilano Beach, der unglaublich kalifornisch wirkt mit seinen durchgestylten Beach VolleyballerInnen. Die Seele bekommt  dann noch eine kleine feine Wanderung im Lighthouse Park in West Vancouver. Dort gibt es die heiß erwarteten ersten Baumgiganten, Herr-der-Ringe-Wunschfauna, am Ufer gibt es es wunderbare Ausblicke auf Howe Sound und English Bay. Über spitze Steine und Muscheln gehts ins kalte Wasser. So ein Meer müsste man immer überall haben. Die erdigen Sneaker werden auch zum letzten gemeinsamen Essen mit den Wrappern angezogen, auch die Wanderkollegen sind dabei. Kein Seafood, dafür ein Grieche mit amerikanischen Portionen, die erst antizipierend und schließlich regenerierend mit Ouzo bekämpft werden müssen. Es wird eine lange Nacht. Und es ist die letzte Party in Vancouver, ein letztes sich in Interaktion behauptendes Reisereflektionsmoment, das ich vor dem anderen Entdecken so noch einmal gebraucht und sehr genossen habe. Montag beginnt das solitäre Reisen, auf das ich mich als ungewohntes Denk- und Bewegungserlebnis richtig freu. Natürlich wird in den späteren Stunden des feuchtfröhlichen Zusammenseins auch das Moose wieder frequentiert, weil dort Vancouver schließlich begonnen hat. Es laufen beruhigenderweise die gleichen schrecklichen Videos, allen voran My Sharona. Seinem von Chris beschworenen Ruf als No-Fun-City kann Vancouver so jedenfalls nicht gerecht werden. Aber vielleicht braucht's auch einfach nur eine gute BerlinBayernSchweiz-Connection. Wie das dann ohne ist - das wird man wohl beim nächsten Besuch erkunden müssen.

Bilder gibts hier.

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