Samstag, 30. August 2014

Elendiges Dazugehören // Portland nach San Fran


Marie im coolen Portland-Zimmer

Als ich die Tür öffne, faltet der alte Indianer gerade Zeltplanen zusammen, die sein Überleben in der Wüste sicherstellen sollen. Er tut es akribisch, aber ein bisschen liederlich. Es ist harte Arbeit. Dann öffnet der Indianer seinen Mund und ist eine Frau. Marina, die im nördlichsten Teil Kaliforniens in einer 2000-Einwohner-Stadt wohnt, eine Überlebenskünstlerin, eine Überlebende. Die Linien im Gesicht, die drahtige Vehemenz ihres Auftretens, das musikalisch Gestikulierende: hier hat jemand viel gesehen, viel gefühlt, aber auch viel ausgehalten. Marina ist keine Durchreisende und auch keine Hängengebliebene - ihr Aufenthalt im Green Tortoise Hostel in San Francisco ist geplant, minutiös. Sie ist eine von etwa 100 Green Tortoise Gästen, die am nächsten Morgen nach Nevada in die Black Rock Desert aufbrechen werden, zum Burning Man.* Marina wollte anlässlich ihres jüngsten Geburtstages mit ihren Kindern verreisen, doch die Kinder hatten eigene Pläne, wollten oder konnten nicht. Da schenkte sich Marina kurzerhand Burning Man selbst zum Geburtstag. Zu ihrem 70.

Marina rümpft die Nase, als ich ihr erzähle, dass ich grad aus Portland komme, sie ist in Portland geboren und aufgewachsen. "It's such a dirty city, I hate dirty cities." Dirty? Ich muss mich wohl verhört haben, aber ein Eintrag auf Wikipedia sagt mir tatsächlich, dass Portland lange den Ruf hatte, dreckig, also kriminell und runtergekommen, zu sein. Not for a long time since though. Portland ist jetzt Hipstertown. Außerdem ist sind dank ihrer 1000 Rosensorten die City of Roses und noch dazu Brückenstadt: 14 Brücken verbinden die Stadtteile entlang der Ufer des breiten, eleganten Willamette Rivers und des Columbia Rivers. Portland ist individuell, ökologisch bewusst lebend, zivilgesellschaftlich engagiert. Portland ist - wenn man über die Brücke aus Downtown rausfährt- bunt, gemütlich, relaxt und trotz Hipstereskität erstaunlich unprätentiös, ein bisschen im Hippiemodus.

Die WG passt dazu wie die Faust aufs Auge. Kelsy, mein Airbnb-Gastgeber, ist selbst in Europa, aber Olivia - deutsche Fulbrightstudentin im Fachgebiet "Colloborative Design" - und Marcus - der als Taxifahrer arbeitet, bekomme ich zumindest peripher zur Gesicht. Sie haben schicke ausrasierte Haare und sorgfältig gedrehte Minidreads. Die WG ist LGBT-friendly und der Kühlschrank quillt über mit veganen, selbst gemachten Köstlichkeiten. Das Haus ist gemütlich-eklektisch möbliert und duftet leicht nach Patchouli, das Futonbett ist verboten bequem, obwohl man die Interstate permanent rauschen hört.
Hauptschlagadern des jungen, alternativen Lebens in Portland sind Hawthorne, Mississippi und Alberta, ein schöner Vintage- oder Lifestyle-Store neben dem nächsten, Foodcarts -mobile kleine Wägelchen, die mit ihren Köstlichkeiten durch die Stadt touren- an jeder Ecke, jeder Laden winkt mit originellen, personalisierten Botschaften oder den jeweiligen Speiseaufgeboten in wunderbarer Oldschool-Schreibe auf Schiefertafeln, an jeder Ecke steht jemand und verteilt Flyer (ganz großes Thema im bewusst lebenden Portland: GMO-Verbote).

Ich lasse mich also auf dem Fahrrad - dessen Stoßstange mir, sicherlich unbeabsichtigt, einen weiteren blauen Fleck auf dem gleichen Knie beschert, sodass das Gehen ziemlich weh tut - durch die Stadt treiben, trinke einen freshly brewed coffee auf einem weiteren Farmers Market. Auf der Suche nach einem guten, günstigen Abendessen sehe ich plötzlich den Hippie und Spaßvogel im Pub sitzen, der mir das Fahrrad im Laden ohne Helm ausgeliehen hat. Ich setze mich zu ihm und bestelle das Pubessen schlechthin: cheddarüberbackene Pommes. Der Spaßvogel heißt Chris und wir trinken Bier und sprechen über die Zeit, in der er mit einer befreundeten Punkband durch Europa inklusive Schwaben tourte. "Oh Stuttgart. Yes, I know Stuttgart. The band played in Esslingen." Die Welt bleibt klein. Wegen Chris verpasse ich dann auch Snowpiercer in einem der speak-easy-Kinos, in denen sie einem das frisch gezapfte IPA zum Platz bringen. Aber so ist das wohl: selbst das favorisierte Reiseprogramm verliert gegen die zwischenmenschliche Begegnung. In jedem Fall beschleicht mich beim Verlassen Portlands das Gefühl, hier wohl länger sein zu können, obgleich ich mir nicht sicher bin, ob ich in diese hippe Gemütlichkeit passe, obgleich ich mir sicher bin, dass ich wohl nicht so artsy und positiv-engagiert bin wie der DurchschnittsHawthornianer.

Das positive Portlandgefühl würde ich auch gern Marina, dem alten Indianer im Hostel, vermitteln, aber sie würde mir wohl nicht glauben. Sie ist ohnehin viel zu sehr im Burning-Man-Fieber, genau wie Susi und Jen, mit denen ich auch ein Zimmer teile. Die beiden sind um die 30 und stellen grad den eigenen Status Quo in Frage. Und das sind die Burning-Man-Sachverhalte, die sie umtreiben: Was werde ich tragen, wie soll es zusammengenäht sein, da müssen noch Perlen dran. Wie wird das mit dem feinen Wüstensand? Soll man überhaupt versuchen, irgendwo zu duschen? Nur Eyecandy-Shopping oder einfach mit jedem schlafen, der einem gefällt? Nach drei Stunden Burning Man Talk bin ich mir immer noch nicht sicher, ob ich da jemals hin möchte, ob ich Burning Man für ein echtes Gruppengefühl der Inklusion und Toleranz oder einfach für einen Szenepseudohippieveranstaltung halten soll. Ich möchte irgendwie dazugehören und gleichzeitig nicht. Mein ewiges Dilemma. Mit dem Portlandhipstergefühl durchaus vergleichbar.

Am Dienstagmorgen sind die Busse weg, mein Zimmer leer und ich muss mich - allen wunderbaren Begegnungen zum Trotz- Gott sei Dank nicht mehr fragen, ob ich Teil der Gruppe sein will. Ich bin einfach wieder Marie, allein, in einer der coolsten Städte der Welt.

*Link für alle bisher Unbedarften, und hier Bilder aus diesem Jahr: http://www.theguardian.com/culture/gallery/2014/aug/30/burning-man-festival-in-pictures

Montag, 25. August 2014

Mit nem Koffer voll Musik nach Portland

Nach so vielen Tagen Seattle habe ich jetzt endlich Frieden gemacht mit meiner mir eigenen Identität als Reisende. So habe ich festgestellt: Wenn ich allein in fremden, neuen Städten unterwegs bin, dann mäandere ich am liebsten. Ich schau ein bisschen hier und da, gucke mir vielleicht eine Ausstellung an, trinke einen Kaffee, spazierend oder schnellen Schrittes. Was ich scheinbar hingegen nicht tue: mir Tagestouren, Gruppentouren buchen und mich zu Orten bringen lassen. Auch in Seattle gab es also keinen Mt. Rainier für mich, dafür dann das erleichternde Gefühl, da Hier und Jetzt ohne permanenten Sighseeing-Druck genießen zu können. Für die unglaubliche Natur jenseits der Städte müssen nun wohl Fahrstunden genommen werden - oder es ergibt sich, dass jemand anders fährt. Ein weiteres Mal Westküste steht also jetzt schon aus.

Und so war Seattle: Weird, in sich sehr separiert, man möchte fast sagen: segregiert. Auch wenn es ein bestimmtes Publikum immer zu geben scheint, man hat das Gefühl, es sei mit der Integration beziehungsweise mit dem selbstverständlichen Miteinander der weißen und der afroamerikanischen Bevölkerung nicht so weit her. Das fällt vor allem bei gemeinschaftsstiftenden Veranstaltungen wie den Farmers Markets auf, die mind. einmal wöchentlich in den einzelnen Vierteln abgehalten werden. Die saisonalen Produkte aus regionalem Anbau werden zu stattlichen Preisen angeboten. Das frequendierende Publikum ist weißer Mittelstand. "Integration is a myth," wie meine airbnb-Gastgeberin dazu sagen würde.

Trotz der Ähnlichkeit vieler Viertel lassen sich doch Nuancen der Differenz ausmachen, um mal mit Berlin zu sprechen:

Ballard: Prenzlauer Berg mit backsteinroter Potsdam-Gemütlichkeit
Capitol Hill: LGBT und Linksalternative Crowd, allerdings oft mit gesetztem Einstein-Café-Charakter
Columbia City: Miniatur-Bergmannkiez
Queen Anne: schnuckeliges Westend
West Seattle: sympathischer Moabit-Verschnitt
Hillman City: Neukölln vor 10 Jahren

Neben allem Flanieren, Spazieren, Wandern, Meer gucken und baden: Der rote Faden war definitiv die Musik - am Dienstag der Indiepop- Singersongwriter Chris Staples mit famoser Vorband, nämlich Valley Maker, deren Youtubevids leider nicht die gleiche David Graysche Intensität und Rauhheit in sich tragen, wie es live der Fall war. Donnerstag dann ein spontaner Konzertbesuch bei "Tag 2.0", einem Musikexperiment mit fünf Live-Bands unterschiedlicher Genres, die ihre Sets mit jeweils einem gemeinsamen Stück ineinander fließen ließen. R&B, Loop artistry, Soul, Pop fanden so zueinander - und alle warense gut. Mein Favorit: Hobosexual, eine Stonerbluesmetalband (oh ja!), die allein schon für ihren Namen ewigen Fandom verdient. Komischerweise auch beeindruckend: das Frank Gehry Kitschmonstrum EMP, Museum für Musik, Cineastisches und Popkultur im
Allgemeinen. Pädagogisch sicherlich zweifelhaft aufbereitet, mit genügend Kopfschüttelpotential an der visuellen Musikgeschichtenfront (Kniefälle vor Macklemore und Kanye West, braucht's das wirklich?!), aber mit einer geradezu anrührenden, umfassenden Nirvana-Artefakten-Sammlung, die auch ein Kontextualisierungsversuch ist. Und hier ich entdecke lauter neue, laute Musik, vor allem Grunge und Punkbands, die mir peinlicherweisekein Begriff waren. Allein dafür hat der horrende Eintrittspreis allemal gelohnt.

Neue Lieblingslieder: Butthole Surfers - Hey, The Gits - Second Skin,  Love Battery - Between the Eyes, Blackouts - Dead Man's Curve. And many more.

Neben der Musik prägt Seattle natürlich das Zwischenmenschliche: der Tankstellenwart Carter, der mir mitten in der Nacht Kaffee und Cookies spendierte und mir nebenbei verriet, dass Seattle eine verdammt hohe Selbstmordrate habe (und der mir so eine Angst vor dem nächtlichen Fußweg machte, dass ich den widerlichen Kaffee sogar brauchte), Sam, der mit mir Chris Staples bewunderte, der leicht dubios bleibende Patrick, von dem ich mich wider aller jemals gelernten guten Ratschläge heimfahren ließ, weil er so viel von Auren quatschte, dass ich bereit war, an das Gute im Menschen zu glauben, oder der schöne, bärtige Hipster Andy. Beschlossen wurde Seattle niveaubefreit beim schon angekündigten Karaokesingen (das Dic Pic ist für manche Leute erschreckenderweise ein Gesprächsthema) und der wohl teuersten Taxifahrt meines Lebens. Dafür hat ja das Vintagekleidchen nur 8 Dollar gekostet.

Mittwoch, 20. August 2014

Amerika und Europa-Klischees im Test

Ich weiß nicht, wer geschockter vom jeweils anderen ist: ich von Seattle oder Seattle von mir. Ich steige aus dem Bus, brauche Wegeleitungsinfos und werde zwei mal nacheinander von Seattlern richtig frostig behandelt - die schöne Chinesin schaut mich an, als würden auf mir kleine widerliche Tierchen hausen, und die Intellektuelle, als hätte ich offensichtlich den Verstand verloren. Da erwartet man amerikanische Freundlichkeit und dann sowas! Aber so ist das mit den Klischees: sie stehen immer massiv im Weg rum.

Das verändert sich auch nicht, als ich schließlich an der South. Brandon Street aussteige. Nachdem ich mich durch eine dicke Duftwolke gekämpft habe (Gott sei Dank hat mich Vancouver auf so Einiges vorbereitet, hier bietet die Cannabis Clinic für Neukunden "1 Gram for free" an), beschließe ich, schnell noch eine zu rauchen, bevor ich meiner Airbnb-Gastgeberin die Hand schüttle. Ich laufe also rauchend mit dem überdimensionierten Rucksack und von der Seitenstraße kommt eine dicke, blonde Amerikanerin den Hügel hoch, eine schwere Pappschachtel tragend. Da stehen wir also kurz: die beiden Klischees USA und uraltes, altmodisches Europa. Und wir wissen gar nicht, wie uns plötzlich geschehen ist.

In der nächsten halben Stunden bestätigt sich ihr Bild des Unverständlichen, europäisch Fremden: kein Smartphone, quasi führerscheinlos und dann auch noch Vegetarierin. "Well, if you are a vegetarian, then I'm the opposite. I eat a lot of meat, I mean A LOT" entgegnet sie selbstbewusst, die mit Bacon und Käse triefenden Nachos in sich reinstopfend, die sie sich grad auf dem Heimweg nach der Pediküre gegönnt hat. Auch abseits ihrer Essensgewohnheiten scheint sie mir äußerst repräsentativ zu sein - ein seltsames Gefühl ist das, gleichzeitig beruhigend - weil so konform mit den eigenen Vorurteilen - und gleichzeitig erschütternd in seiner schablonenhaften Trivialität, immer die Dinge vorzufinden, die man ja eigentlich schon erwartet. Überall im Haus befinden sich jedenfalls Familienbilder der properen Familie, blondiert, drapiert, lächelnd.

Danach offenbaren sich jedoch sympathische Nerdismen und etwaige, politisch sympathische Ansichten. Julie hat dem Game of Thrones Fandom eine richtige Krone aufgesetzt: auf ihrer Wade prang ein Tattoo mit den Worten A READER LIVES A THOUSAND LIVES. Der Nerd Julie arbeitet im Health Care Management und ist deswegen kaum zu Hause. Ist sie zuhause, dann läuft Game of Thrones. Dass sie am Arsch der Stadt wohnt, stört sie nicht - und alle airbnbgäste bis auf die seltsame Europäerin hätten ja auch schließlich Autos. Allerdings würden manchmal Anfragen kommen, ob sich hinter der von ihr beschriebenen Diverse Neighborhood irgendwelche messerstechenden Gangsterklischees verbergen könnten. "And then I usually write back: with diverse I mean multi-ethnic, I feel save and finde and so should you. I mean there are lots of black people, but if you've got a problem with that, that probably means you're racist." Am Freitag will sie mit einer Freundin in ein chinesisches Restaurant Karaoke singen gehen - da gehe ich natürlich mit.




Montag, 18. August 2014

Leaving no-no-fun-city

"You're so lucky to Live in Vancouver." Chris nimmt einen Schluck Red Truck, seufzt hörbar , und stimmt in seinen Hate-Talk ein, der immer folgt, wenn man ihm zu seinem aktuellen Wohnort gratulieren möchte. Langweilig sei Vancouver, behäbig, provinziell, auch zwei Uhr Neujahr stünde keine alte Sau mehr auf der Straße und feiere. Wir würden schon noch sehen. Dann streicht sich Chris die Haare aus dem Gesicht und lacht. Er sieht aus wie die 90er, die coolen 90er. Längeres Haar, das fettig, aber auch gegelt sein könnte, dazu Dreitagebart, außerdem Jeans und Boots, ein weites Holzfällerhemd, eine Mischung aus Jordan Catalano aus My so-called Life und Curt Cobain. Das Moose ist ein Hardrockschuppen mit trashigen 80s-Videos, 6-Dollar-Burgern und BHs, die dekorativ über der Theke baumeln. Chris wirkt wie Inventar. Es ist schwer, unter diesen sympathischen Umständen seinen Worten Glauben zu schenken. Wenn es das Moose gibt, dann muss die Stadt doch  pulsieren, toben. Oder nicht?

Die Crowd macht's.

Chris behält nur peripher Recht, aber vielleicht liegt das am allgemeinen Ausnahmezustand, der einen Abend für Abend nach der SIGGRAPH in gefühlt alle KneipenVancouvers bugsierte. Mixer, Reception, Party wurde das Kind genannt. Steamworks Brewery, Lamplighter Pub, Balckbird Public House, Railway Club waren Veranstaltungsorte und oft war der Gin Tonic fatalerweise umsonst. Und ja: in Restaurants wird um zehn manchmal wirklich aggressives Deckenlicht zum Verscheuchen der Gäste angewendet, in Clubs wird um Punkt drei die Musik ausgestellt und nachts wirken die Straßen in der Tat wie ausgestorben, zumindest unter der Woche. Aber das wird halt schnell egal, wenn die Crowd stimmt. Seien es die Arbeitskollegen oder die Studenten, die beim FMX-Stand ausgeholfen haben. Sei es besagter Chris mit seiner Freundin Debbie, und bekannte Gesichter auf den Abendveranstaltungen sowie neue Bekanntschaften, mit denen man unbeschwert ins Quatschen kommt. Dann entstehen Abende, an denen sich Gläserklirren und dahin gesagte Sätze im Gedächtnis einlagern. Feststellungen a la "ich find es wichtig, dass man seine ganzen Jugendkomplexe und -Traumata für immer mit sich rumschleppt," finden Platz neben leidenschaftlichen Plädoyers für die Annilihation des Singer-Songwriter-Genres und Streitgesprächen über die vermeintliche Erträglichkeit der Serie "Girls."

Junkie-Wohnzimmer und Hipsterviertel

Mit dem Ende der SIGGRAPH werden also die Abende auch nicht kürzer. Dafür ist der Heimweg länger: Dank lieber kanadischer Bekannter darf ich unweit des Commercial Drive nächtigen, das man sich ungefähr wie eine Mischung aus Neukölln und Williamsburg vorstellen kann. Ein besonders symapthisches Hipsterviertel, das zu beiden Enden hin wieder vancouver-typisch in Problembezirke ausfranst - besonders Richtung Downtown, rund um die Hastings, dem notorischen Drogenviertel. Hier spielt sich das ganze Junkie-Leben sichtbar auf der Straße ab, hier wird offen Crack geraucht, Heroin gekauft, verkauft, gespritzt, hier wird campiert, gehaust, wertloser Tand verkauft. Alles könnte ja der nächste Schuss sein. Und der 20er-Bus fährt mittendurch, rein ins schnieke Hipstertown, mit den schönen Cafés, Boutiquen, Gemüsemärkten, Tattoo Studios und schier endlosen Cannabis-Kliniken, in denen Gras verkauft wird. Ich mache den Widerspruch der Vancouverianer also voll mit. Der Bildvergleich sagt alles: Commercial Drive und E Hastings.

Ich mach dann auch nicht nur einen Großeinkauf inklusive Tofurky (soon viele Sorten, das Glück, das Glück), sondern trinke auch Kaffee in einem Laden mit hölzernen Barhockerunikaten und grandioser Überbesetzung - eine Angestellte verbringt ihre Zeit damit, ihrerseits Kaffee zu trinken und Oldschool-HipHop-Platten aufzulegen. Gemütlich. Zwischen strömenden oder eher: schlendernden Passanten immer wieder feiner Marijuhana-Duft, die in die Cannabis-Kliniken Einkehrenden wirken naturgemäß nicht wie Schmerzpatienten, sondern wie Medienmenschen, die grad den Feierabend einläuten möchten. Diese weirde Stadt.

Das reduzierte Touriprogramm 

Ergänzend zum Stadtprogramm gibts natürlich auch die Natur. Ich bekämpfe den Touristen in mir, der am liebsten alle Sehenswürdigkeiten in wenige Tage pressen möchte, und entscheide mich damit gegen Grouse und Whistler Mountain, aber für eine Fahrradtour durch den Stanley Park - ein 400 Hektar großer Stadtpark mit Stränden, Bars und viel zu vielen fotogenen Aussichten - Granville Island mit seinem Public Market (vegetarian Potstickers ftw)  sowie Kitsilano Beach, der unglaublich kalifornisch wirkt mit seinen durchgestylten Beach VolleyballerInnen. Die Seele bekommt  dann noch eine kleine feine Wanderung im Lighthouse Park in West Vancouver. Dort gibt es die heiß erwarteten ersten Baumgiganten, Herr-der-Ringe-Wunschfauna, am Ufer gibt es es wunderbare Ausblicke auf Howe Sound und English Bay. Über spitze Steine und Muscheln gehts ins kalte Wasser. So ein Meer müsste man immer überall haben. Die erdigen Sneaker werden auch zum letzten gemeinsamen Essen mit den Wrappern angezogen, auch die Wanderkollegen sind dabei. Kein Seafood, dafür ein Grieche mit amerikanischen Portionen, die erst antizipierend und schließlich regenerierend mit Ouzo bekämpft werden müssen. Es wird eine lange Nacht. Und es ist die letzte Party in Vancouver, ein letztes sich in Interaktion behauptendes Reisereflektionsmoment, das ich vor dem anderen Entdecken so noch einmal gebraucht und sehr genossen habe. Montag beginnt das solitäre Reisen, auf das ich mich als ungewohntes Denk- und Bewegungserlebnis richtig freu. Natürlich wird in den späteren Stunden des feuchtfröhlichen Zusammenseins auch das Moose wieder frequentiert, weil dort Vancouver schließlich begonnen hat. Es laufen beruhigenderweise die gleichen schrecklichen Videos, allen voran My Sharona. Seinem von Chris beschworenen Ruf als No-Fun-City kann Vancouver so jedenfalls nicht gerecht werden. Aber vielleicht braucht's auch einfach nur eine gute BerlinBayernSchweiz-Connection. Wie das dann ohne ist - das wird man wohl beim nächsten Besuch erkunden müssen.

Bilder gibts hier.

Donnerstag, 14. August 2014

Vancouver, zwischen den Extremen

An der Kreuzung stehen Anzugträger, Touristen und SIGGRAPH-Besucher brav mit dem obligatorischen Kaffeebecher in der Hand, auf die grüne Welle wartend. Auf der anderen Straßenseite ein offensiv agierender Bettler mit einem Pappschild, das einen anschreit "HIV &Hungry".Was ist das für eine Stadt, in der die Extreme so krass und unversöhnlich nebeneinander stehen? Das saturierte Vancouver, das auf der Rangliste der lebenswertesten Städte weltweit einen Spitzenplatz einnimmt, und mittendrin völlig unübersehbare Armut. Auf der einen Seite die geschleckten Straßenzüge mit den vielen polierten Skyscrapern, den herrlichen grünen Bäumen, der sich beispielsweise von der Robson Street auftuende Blick auf das glitzernde Meer und der ganz generellen Gepflegtheit, sprich den gefegten Gehsteigen, den ordentlich umgegrabenen Blumenbeeten und Parkanlagen. Dazu die rigorosen Vorkehrungen zum Erhalt der städtischen Ordnung: Rauchen ist ungern gesehen und nur in 5-7m Entfernung zu öffentlichen Gebäuden überhaupt möglich, bei Nicht-Beachtung des Rauchverbots an den Uferpromenaden oder in Parks werden bis zu 250 Kanadische Dollar fällig, öffentlicher Alkoholkonsum wird genauso geahndet wie das Überqueren der Straße bei fehlender Ampelanlage. Auf der anderen Seite unvermittelt Bettler, Obdachlose, Junkies, oft auf offener Straße campierend. Ein disruptives Moment inmitten pittoresker Postkartenhaftigkeit, eine Vergegenwärtigung sozialen Ungleichgewichts. Obwohl die Obdachlosigkeit - die nach wie vor als Folgeentwicklung explodierender Immobilienpreise in den 80er Jahren gilt - seit 2011 nicht mehr ansteigt und sicherlich auch mit sozialen Maßnahmen angegangen wird: die Stadt wirkt auf mich, als würde sie diese eigene klaffende Wunde einfach hinnehmen.

Samstag, 9. August 2014

Emka's Westcoast Travelogue

Hallo liebe Freunde der Reiseimpressionen,

für die nächsten drei Wochen wird dieser verwesende Blog nun reanimiert: hier gibt es nun Fotos, Text, vielleicht sogar Bewegtbild aus rund 8000 Kilometern Luftlinien-Entfernung. Und zwar immer dann, wenn Schreiblust und WLAN vorteilhaft zusammen treffen. Ich wünsche frohes Fernweh und freue mich über euer Mitlesen.