Sonntag, 10. April 2011

Ganz schön hipsteresk

Is noch gar nicht lange her, da hab ich den Hipster für ne ziemlich coole Sau gehalten. Da kannte ich ihn aber auch noch nicht. Ich kannte nur seinen Wirt, oder eher: sein Nest. Kneipen mit Tapetenresten und Leimspuren aus den 60ern an den Wänden, mit Möbeln im UnSchick, aus verschiedenen Jahrzehnten wahllos zusammengewürfelt. Und dazu billiges Bier. Abhängen konnte man da, unbeobachtet. Ab und zu wollte eine Laufsteg spielen, verfing sich dann aber mit ihren Boots in den unregelmäßigen Bodenlöchern und stolperte zuckersüß.

Damals - so konstruiert es die Erinnerung idealisierend - gab es nur drei, vier Hipsterkneipen in Neukölln, und sonst einen großen Haufen Döner- und Gemüseläden. Die Leute sahen alternativ aus, weil Neukölln tatsächlich eine Alternative zum gentrifizierten, überrannten Friedrichshain geworden war. Die Kneipen im reduzierten HabeNichtsStyle entstanden dann neben einer beliebigen Hertha-Fan-Kneipe und waren meistens ziemlich leer. Dort wehte der Charme des Mittellosen, Unfertigen, des Spontanen, der "Wir-stellen-jetzt-Holzkisten-nebeneinander-und-tun-so-als-wär-das-ein-Schloss"- Attitüde. Unauthentisch war das natürlich schon damals. Der normale Hipster -damals noch eine vereinzelte Freakerscheinung - war natürlich nicht mittellos, sondern stolzer MacBook-Besitzer, natürlich nicht unfertig, sondern mit konkretem Plan "was mit Medien in Berlin zu machen", aber vielleicht doch auch in einem 08/15-Unternehmen tagtäglich die eigene Seele zu Grabe zu tragen. Und weil der Hipster nichts so sehr fürchtet, wie das Außenseitertum, hat er sich mit seinesgleichen zusammengerottet und ist jetzt total wichtig. Praktisch hauptberuflich.

Die Zeitschrift Opak - szenig, und trotzdem immens lesenswert - hat sich dem Untergrund und den Hipstern zugewendet, offenherzig und schnoddrig, so dass beim Lesen tatsächliche Hipsterwesen von den Seiten aufzuerstehen und über die neueste Indie-Band zu schwadronieren scheinen, nur um sich dann aus den eigenen vier Wänden zu verziehen, unter dem Vorwand, eine absolut andere, alternative und neue Art von Party besuchen zu müssen (natürlich schiebt sich das Hipsterwesen fortwährend die Brille den Nasenrücken rauf, weil die so riesig ist, dass selbst ein Riese Gullivers Probleme hätte, sie korrekt im Gesicht zu halten), dann ist es endlich weg.

Opak entlarvt diesen vermeintlichen Geist des Anderen, als ein sich immer wieder neu inszenierendes, letztendlich immer gleiches Gesicht des Pop, des Mainstream, der Normalität, der Entpolitisierung. Großartig und zeitnah, so dass ich der Berliner Szene nach meinem Rückzug nicht haltlos und ratlos ausgeliefert bin. Gestern treffe ich mich mit alten Neuköllner Freunden (seit unglaublichen 8 Jahren im Bezirk) und die Hipster drängeln in wichtigen Gesprächszirkeln von der Kneipe bis zum Bordstein, so dass man sich gewaltsam durchpressen muss durch die individuelle Uniformierung, geradezu in bürgerlicher "Entschuldigung, kann ich mal"-Manier und diesem unentspannten Lächeln, das man sich sonst Bahnkontrolleuren vorbehält. Dank Opak weiß ich jetzt, das ich mich nicht nur aufgrund akuter Outness ausgeschlossen fühle, sondern auch, weil das Hipsterwesen nach politischer und kultureller Verwesung riecht. Das beruhigt mich. Innerlich sing ich dann ein bisschen Beatles, obwohl die auch scheiße waren. So im Style "Wedding, nun bist du dran": Take a sad song and make it better.

Sonntag, 27. März 2011

Bohemian raptures - Robert Mapplethorpe

Die Assoziationskette beendet den Gedanken und schließt die Kategorienschublade effektiv. Helmut Newton: Model und High-Society; Annie Leibovitz: Susan Sontag, Demi Moore nackt&schwanger; Cartier-Bresson: Magnum zwischen Sozialkritik und Sozialästhetik - selten sprengen Ausstellungen und Retrospektiven die eigene Horizontlinie und die Erfahrung geht mit der eigenen Erwartung letztendlich doch konform. C/O-Gallery, Berlin und der Name Robert Mapplethorpe - Assoziationskette : S/M, Narzissmus, Patti Smith, New Yorker Bohème, Penis, Penis, Penis. Letzterer als Stillleben, als absurdes Objekt à la Man Ray oder auch tatsächlich als Momentaufnahme der New Yorker Szene. Auf jeden Fall Penis.
Den gibt es dann natürlich auch im Übermaß. Auch das erwartete Bondage-Foto, auf dem sich Mapplethorpe mit aggressivem Blick über die Schulter vergewissert, dass der Betrachter der rektalen Einführung einer Reitgerte auch ganz sicher gewahr wird. Nun ja. Wichtig für die Zeit, aber so richtig hats mich nie vom Hocker gehauen - einzig die Patti Smith Portraits fand ich immer sehr ansprechend.
Dann der Schock: ein Raum voller Polaroids, die Mapplethorpe am Anfang seiner Karriere als fotografisches Medium einsetzte. Damals war es paradoxerweise die Armut, die Perfektionismus gebar: Selbst Polaroids waren eine horrende Ausgabe, so dass jedes Foto sitzen musste. Und das tut es. Fast kein Foto wirkt zufällig oder gar "nebenbei". Der Mythos Polaroid, der ja durch Worte wie Unmittelbarkeit, Momentaufnahme, Spontaneität und Authentizität geprägt wurde, wird hier ad absurdum geführt. Jedes Foto ist aufs Penibelste ausgeleuchtet und gestellt; die entstehenden Tiefen im Bild sind meisterlich - der unsichere Blick des Fotomodells gerät zur genauen Charakterstudie, die Selbstportraits zu fein gezeichneten, entrückten Dramen. Hier zeigt sich deutlicher als bei den gerahmten, nackten Schönen (Penissen), was Mapplethorpe an Feingefühl und ästhetischem Know-How so mitbrachte. Kein Fetisch-Fotograf, sondern ein Meister des großen Schauspiels. Grandios.
Neben mir stolpert die Indie-Baggage, die der C/O Gallery ihren alternativen Ruf einbringt, auf die Genitalien zu, kichernd. Ein kleiner Laufsteg wabbert durch die Räume, Nickelbrillen und Blahniks, Tolle und geföhnter Pony. Ich wackele ihnen hinterher, durch die Räume mit dreckigen Betonböden und unverputzten Wänden und denke kurz, dass das Ambiente der C/O Gallery der New Yorker Künstler - und Atelierszene, die in Mapplethorpes Polaroids immer hintergründig hindurchschimmert, doch fast schon gleichkommt. Mapplethorpe hits home, oder so. Als dann Louise Bourgeois mit ihrer Penisskulptur "Filette" unterm Arm die BetrachterIn frech angrinst, bin ich mir sicher, dass Mapplethorpe oft in der falschen Schublade landet und die Assoziationskette als Mittel der schnellen Kategorisierung auf den Müll gehört. Ich beschließe ihre sofortige mentale Zerschrottung. Zumindest bis zur nächsten Ausstellung.

Montag, 28. Februar 2011

Und das Ende vom Lied - Ist vielleicht Schlafen doch besser?

My oh my. Natalie Portman hat den Oscar für ihren hervorragenden Babybauch und ihre baldige Mutterrolle bekommen. Großartig. Jetzt brauch sie nur noch anfangen, in relevanten Filmen mitzuspielen. Oder Jennifer Lawrence kriegt einfach noch irgendwann nen Oscar. Dann guck ich die Chose wieder. Ach, ein Lichtblick, nicht nur Colin kriegt noch einen - "The King's Speech" kriegt den Oscar für den besten Film und straft die fürchterlich belanglose Veranstaltung mit ihrer SocialNetwork-Mentalität und ihrem fantasielosen MusicVideo-Charme gnadenlos ab. Wenn jetzt noch Anne Hathaway versehentlich an ihrem eigenen Grinsen erstickt, war es dann doch noch irgendwie ne schöne Nacht.

Ein neues Tief tut sich auf

Standing Ovations für eine weitere Anmoderation und es ist niemand Geringeres aaaals Billy Crystal. Die Inkarnation eines glucksenden Lachens, die Geburt des Humors - ähhh: nicht. Ein weiteres Indiz für die knochentrockene, blutleere Veranstaltung, der ich inzwischen kleinäugig beiwohne.
Oh mei, ist das lahm. War es ja schon immer, aber es hatte Stil. Dreßig Sekunden ist James Franco mal ganz Frau, ganz Drag und es ist einfach unfassbar öde. Vielleicht lässt sich ja die diesjährige Preisverleihung doch daran messen, dass ein Oscarfavorit musikalisch von Trent Reznor untermalt wurde - Nine Inch Nails zum Kuscheln und Ganz-Fest-In-Den-Arm nehmen, da hört halt dann doch die Welt auf.

Philosophieren übers Gewinnen

Tränen: Mitnichten ist das Geheule auf der Bühne eine Art emotionale Reaktion oder Überforderung - vielmehr ist sie die Sprachlosigkeit, die Ermangelung intelligenter Worte. Namen vergessen: kein Schock, sondern vielmehr ein wahrhafter Moment des geadelten Narzissmus, der endlich mal ganz mit sich allein ist. Vergiss die alberne Ehefrau!

The Oscars begin...

und die Moderatoren sind... heut nicht so lustig... allen machen auf sentimental und "die guten alten Zeiten" - und stellen ihre beleibten Verwandten im Publikum bloß...ähh vor. Anne Hathaway und James Franco sind halt beide nun noch nicht - nun ja - sagen wir: ohne Ende aufgefallen.

Sonntag, 20. Februar 2011

Welche Freiheit denn bloß? Über Franzen und Sojamilch

Vielleicht ist die Soziologie schuld. Oder vielleicht eher der Konstruktivismus. In jedem Fall aber die Überzeugung, dass sich Identität oder Charakter nur im Hinblick auf die sie/ihn konstituierenden sozialen Momente beschreiben und erzählen lassen. Anders lässt sich Jonathan Franzens Motivation, seinen neuen Roman Freedom zu verfassen, kaum erklären. Anders als in vielen - vor allem anglo-amerikanischen, aber auch den deutschen - Medien gehypt, handelt es sich hier nicht um eine große Erzählung in amerikanischer Tradition, angelehnt an - man höre und staune - Tolstoys "Krieg und Frieden", sondern um einen Roman, der alles (erzählen) will und sich dabei in einer Endlosschleife von Banalitäten und Oberflächlichkeiten verfängt. Obwohl Freedom vorgibt, sich mit einer Familiengeschichte auseinander setzen zu wollen, möchte er doch in erster Linie LIVE sein und vor allem REAL. Und dafür ist ihm jede Referenz auf den zeitgenössischen Film-, Musik- und Politikgeschmack Recht.

Im Zentrum des Romans steht die 20 Jahre währende Ehe von Patty und 'Walter Berglund, deren Höhen und Tiefen aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet wird. B.B. Myers' grandiose Rezension in "The Atlantic" mokiert sich vor allem über die Durchschnittstypen und -protagonisten, die den Plot bleischwer, grauöd erscheinen lassen: Patty, die sich selbst schon für langweilig hält und dann den "soliden" und "netten" Walter heiratet, während sie eigentlich Gefühle für dessen besten Freund und "unzuverlässigen" Musiker Richard hegt und mit ihm dann in späteren Jahren eine Affäre anfängt...Die (vor allem inneren) Konflikte, die sich aus der Affäre und Pattys heimlichen Gefühlen für Richard ergeben, sind danach das große Thema von Freedom und nebenbei noch ALLE ANDEREN DINGE, die Freiheit als Stichwort oder Lebensmaxime im Post-9/11-Amerika auch nur streifen. Die daraus notwendigerweise entstehende Oberflächlichkeit, die sich auch in der sprachlichen Trivialität niederschlägt, sind aber nur Teil des Problems. Weitaus schwerer wiegt nämlich Franzens Genügsamkeit: Konflikte sind bloßes Beiwerk, psychische Störungen dezent gestreute Accessoires; nichts scheint Franzen dauerhaft zu interessieren, alles bleibt Aufzählung. Franzen hätte gut daran getan, einen x-beliebigen Schreibratgeber aufzuschlagen: Der Terminus "Show, don't tell" gilt halt auch und vielleicht sogar gerade für die Profis.

Franzens Erzählweise wirkt dann auch eher wie angestrengte Fleißarbeit: Häkchen für political incorrectness, Häkchen für Klimawandel, Häkchen für zweifelhafte SchönheitsOPs... Franzens Hommage an den Zeitgeist gipfelt in einer zweiseitigen, sich betont lässig gebenden Beschreibung eines Bright-Eyes Konzert (mit obligatorischem Kniefall vor Conor Oberst). Muss das sein? Derartiges Pseudo-Kennertum wirkt arg jedenfalls arg befremdlich und qualitativ mittelmäßig bis minderwertig. Gleiches gilt auch für die Figuren - Franzens Interesse gilt einzig einem grünen, demokratischen, unangepassten und emanzipierten Lifestyle, bei dem die fehlende Sojamilch im Kaffee eine vorgestrige Todessünde darstellt. Es scheint mitunter, als wolle Franzen bewusst ein politisches Programm bewerben. Kein Wunder, dass Freedom unter Oprah Winfreys Buchempfehlungen landete.

Ausgerechnet die von Franzen zum erbärmlichen Leben erweckte Rockstarkarikatur Richard Katz darf sich dann zur nicht existierenden Romansubstanz (von) Freedom äußern: im Interview mit einem pubertierenden Fan bekennt Richard die eigene Mittelmäßigkeit und pseudokritische Lebensart, die sich nicht nur Grammygewinner, sondern auch Durchschnittsbürger allzu gern aufs T-Shirt drucken, natürlich ohne Konsequenzen zu ziehen oder wirklich politisch und gesellschaftlich aktiv zu werden. Die Wut und der Zynismus, die Franzen ganz meisterlich in Richards Stimme legt, vermitteln eine Ahnung von dem, was Freedom vielleicht hätte werden können und seine Korrekturen aus dem Jahr 2001 immer noch sind: ein schonungsloses, oft zynisches Familienportrait, das seine Protagonisten bis auf die letzte Pore entblößt und durch diese Detailtreue auch der Gesellschaft den Spiegel vorhält. Und das ganz ohne Verweise auf Zeitgeist.

Montag, 7. Februar 2011

And the Oscar goes to the terribly dull ... (insert virtually any 2011 nominated film here)

Was haben "The Social Network" und "Black Swan" gemeinsam? Richtig, beide sind für fünf und mehr Oscars nominiert. Eine weitere Gemeinsamkeit: Much Ado About Nothing. Ich will ja wirklich mal wieder was gut finden, aber bei derartig flachen Dialogen, so übertrieben vorsichtig angekratzter Oberfläche und äußerst mittelmäßigen Schauspielkünsten fällt Lachen schwer und Enthusiasmus wird unmöglich. Was ist bloß los mit dem Mainstreamkino, dass es nicht mal mehr gute Geschichten erzählen kann? Es bleibt zu hoffen, dass "The King's Speech" abräumt. Bei aller Irritation über das (traditionell-wertorientierte) Monarchie-Setting des Films stimmt hier alles: die wunderbaren SchauspielerInnen, die Story und der süffisante, britische Humor:
---> http://www.imdb.com/title/tt1504320/quotes?qt1399688

Donnerstag, 13. Januar 2011

Wie wär's mal mit Gefühl - Part II

Das soll also der FeelgoodFilm des Jahres 2010 gewesen sein? Eine Art alternativer Familienfilm für die ganze Familie und auch für alle anderen? Vielleicht ist das ja grad das Problem von "The Kids Are All Right" - dieser Anspruch der Inklusion, diese Kuscheligkeit, bei der jeder mal im Nacken gekrault wird. Funktioniert für fast alle. Und doch wundere ich mich: Die Story is fürchterlich unoriginell; bei dem lesbischen Ehepaar gibt es eine klassische Rollenverteilung mit Butch-Klischeelesbe; Männer fungieren nur als Samenspender, Beziehungszerstörer, Verhaltensgestörte und haben nur einen menschlichen Wert, wenn sie von zwei Lesben großgezogen werden... Im Endeffekt ist hier nicht mehr zu sehen, als ein konservatives, kleines Filmchen, in dem der ach-so-heilige Ort der Familie verteidigt und zugemauert wird. Nur halt auf lesbisch. Westward ho!

Wie wär's mal mit Gefühl - Part I

Ein Dreieck wird ganz klassisch durch drei Punkte definiert, die nicht auf einer Geraden liegen. Die literarische und filmische Dreieckskonstellation entspricht im Wesentlichen der geometrischen Definition: Auch sie wird normalerweise durch drei Handlungsfiguren definiert - und nichts an ihr ist einfach, geschweige denn gerade; dafür gibts Dreierdynamik ohne Ende, ob Drama oder Komödie. Es sei denn, ein Tom Tykwer versucht sich daran. Da kann ein Dreieck schon mal rund werden. Oder schlicht und einfach formlos.
Dabei stimmen die geometrischen Bausteine in Tykwers
"Drei": großartige Schauspieler (Sophie Rois, Devid Striesow, Sebastian Schipper) und interessante Koordinaten: Simon und Hanna sind seit Ewigkeiten zusammen und langweilen sich ein bisschen, beide gehen fremd und zwar unwissentlich mit Demselben, nämlich Adam... Und trotzdem: So richtig dreieckig wird das Ganze nie; nie wird der Film wirklich lustig oder wahrhaft traurig, immer lässt er den Tiefgang vermissen. Letzteres ist vor allem der Charakterisierung geschuldet: Die Figuren bleiben hoffnungslos unglaubwürdig und uninteressant, weil sie in ihren überzeichneten Stereotypisierungen förmlich ersticken. Selbst die Erotik - eigentlich eine erwartbare Ingredienz bei einer Dreiecksgeschichte - ist abwesend, ständiger Nacktheit zum Trotz. Stattdessen werden Nebenhandlungsstränge angekaut und dann liegen gelassen, stattdessen jagt ein Filmschnitt den nächsten... Rois&Co werden gedankenlos verheizt in einem Film, der so sehr damit beschäftigt ist, Zeitgeist sein zu wollen, dass er die Kategorien "Figur", "Plot" und "Kohärenz" gänzlich vernachlässigt, ja eigentlich abschafft.
Was dabei entsteht und als Einziges übrig bleibt ist eine völlig künstlich wirkende Werbefilm-Collage (als Werbefilm kann "Drei" auch nicht besonders viel: Ebook, Berliner Szenelocations, Robert Wilson, ein zur Seite geworfenes Bachmann-Buch und Gunther von Hagens - so richtig neu ist das alles nicht) mit pseudopolitischer Grundierung (Islamdebatte meets Diskussionen über Fortpflanzung im Ethikrat meets Genderdiskussion). Vielleicht wäre sogar das noch zu ertragen, wenn ein kleiner Konflikt das hässliche Werbefilm-Collagenbaby in die Luft sprengen würde, aber Tykwer ist irgendwie nicht so auf Konflikt gepolt - kein Konflikt, so weit das Auge reicht. Simons Schock über die eigene Bisexualität hält drei Sätze an, Hannas Schwangerschaft vielleicht eine Kameraeinstellung, dann fliegt schon die ganz Affären auf, Hanna ist eine Minute lang hochschwanger in der Londoner Hippieszene, dann liegen alle drei miteinander nackig im Bett, alles ist heititei. Und Abspann. Das mag das Feuilleton als geradezu revolutionäres Plädoyer für die Emanzipation von (Geschlechter)Kategorien deuten, es bleibt eine aufgesetzte, unpolitische Geste der Beliebigkeit in einem Film, der eigentlich nicht mal selber weiß, was an ihm jetzt eigentlich interessant sein soll. Judith Butler würde müde lächeln.
Und das Dreieck sitzt in der Ecke und weint.