Sonntag, 27. März 2011

Bohemian raptures - Robert Mapplethorpe

Die Assoziationskette beendet den Gedanken und schließt die Kategorienschublade effektiv. Helmut Newton: Model und High-Society; Annie Leibovitz: Susan Sontag, Demi Moore nackt&schwanger; Cartier-Bresson: Magnum zwischen Sozialkritik und Sozialästhetik - selten sprengen Ausstellungen und Retrospektiven die eigene Horizontlinie und die Erfahrung geht mit der eigenen Erwartung letztendlich doch konform. C/O-Gallery, Berlin und der Name Robert Mapplethorpe - Assoziationskette : S/M, Narzissmus, Patti Smith, New Yorker Bohème, Penis, Penis, Penis. Letzterer als Stillleben, als absurdes Objekt à la Man Ray oder auch tatsächlich als Momentaufnahme der New Yorker Szene. Auf jeden Fall Penis.
Den gibt es dann natürlich auch im Übermaß. Auch das erwartete Bondage-Foto, auf dem sich Mapplethorpe mit aggressivem Blick über die Schulter vergewissert, dass der Betrachter der rektalen Einführung einer Reitgerte auch ganz sicher gewahr wird. Nun ja. Wichtig für die Zeit, aber so richtig hats mich nie vom Hocker gehauen - einzig die Patti Smith Portraits fand ich immer sehr ansprechend.
Dann der Schock: ein Raum voller Polaroids, die Mapplethorpe am Anfang seiner Karriere als fotografisches Medium einsetzte. Damals war es paradoxerweise die Armut, die Perfektionismus gebar: Selbst Polaroids waren eine horrende Ausgabe, so dass jedes Foto sitzen musste. Und das tut es. Fast kein Foto wirkt zufällig oder gar "nebenbei". Der Mythos Polaroid, der ja durch Worte wie Unmittelbarkeit, Momentaufnahme, Spontaneität und Authentizität geprägt wurde, wird hier ad absurdum geführt. Jedes Foto ist aufs Penibelste ausgeleuchtet und gestellt; die entstehenden Tiefen im Bild sind meisterlich - der unsichere Blick des Fotomodells gerät zur genauen Charakterstudie, die Selbstportraits zu fein gezeichneten, entrückten Dramen. Hier zeigt sich deutlicher als bei den gerahmten, nackten Schönen (Penissen), was Mapplethorpe an Feingefühl und ästhetischem Know-How so mitbrachte. Kein Fetisch-Fotograf, sondern ein Meister des großen Schauspiels. Grandios.
Neben mir stolpert die Indie-Baggage, die der C/O Gallery ihren alternativen Ruf einbringt, auf die Genitalien zu, kichernd. Ein kleiner Laufsteg wabbert durch die Räume, Nickelbrillen und Blahniks, Tolle und geföhnter Pony. Ich wackele ihnen hinterher, durch die Räume mit dreckigen Betonböden und unverputzten Wänden und denke kurz, dass das Ambiente der C/O Gallery der New Yorker Künstler - und Atelierszene, die in Mapplethorpes Polaroids immer hintergründig hindurchschimmert, doch fast schon gleichkommt. Mapplethorpe hits home, oder so. Als dann Louise Bourgeois mit ihrer Penisskulptur "Filette" unterm Arm die BetrachterIn frech angrinst, bin ich mir sicher, dass Mapplethorpe oft in der falschen Schublade landet und die Assoziationskette als Mittel der schnellen Kategorisierung auf den Müll gehört. Ich beschließe ihre sofortige mentale Zerschrottung. Zumindest bis zur nächsten Ausstellung.

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