Donnerstag, 3. Dezember 2009

Das Projekt Dicker Schinken

Eine kleiner zerknitterter Zeitungsausschnitt am Kühlschrank meiner Eltern hat mir die wohl schönste literarische Entdeckung meines Lebens beschert: David Foster Wallace.

Seit Monaten arbeite ich mich nun durch Infinite Jest und kämpfe mich durch die 200 Seiten an Fußnoten. Die vorläufige Erkenntnis: Nie war ein Kampf schöner, besser, ehrlicher, berührender und bereichernder.

Die sich inhaltlich über mehrere Handlungsebenen erstreckende und aus verschiedenen Perspektiven erzählte Geschichte verbindet und kontrastiert zwei Schauplätze, die wohl verschiedener nicht sein könnten: Ennet House, ein Entziehungsheim für Süchtige und die E.T.A, die Enfield Tennis Academy, wo die nächste Generation von Tennisstars herangezüchtet wird. Beide sind bei DFW im Grunde Metaphern einer kranken und zerfressenen Gesellschaft, die er aber weder parodiert, noch vorführt, sondern, im Gegenteil: sprechen lässt. Der Begriff, der beide Institutionen verbindet und damit charakteristisch bleibt für die gesellschaftlichen Zustände, ist wohl die Effizienz, die aufgrund des allgemeinen und individuellen Scheiterns geradezu ad absurdum geführt wird. Über mehrere Seiten beschreibt er beispielsweise, was man alles von Leuten in der Suchtklinik lernen kann:

"That it is possible to learn valuable things from a stupid person.That it takes effort to pay attention to any one stimulus for more than a few seconds... That if enough people in a silent room are drinking coffee it is possible to make out the sound of steam coming off the coffee... That sometimes human beings have to just sit in one place and, like, hurt... That it is possible to fall asleep during an anxiety attack...

Im Gegensatz dazu wird das Scheitern, die Ineffizienz des eigenen Daseins, besonders deutlich am Beispiel der elitären Tennisacademy, wo die Lebensunfähigkeit den Alltag längst auszeichnet:

" I could hear faint sounds of early-morning weeping in certain rooms beyond my line of sight. Lots of the top players start the A.M. with a quick fit of crying, then they are basically hale and well-wrapped for the rest of the day."

Die teilweise ironische Färbung ändert nichts an der Tatsache, dass DFW den Leser oft an die Grenze des Erträglichen führt: Eine Drogensüchtige erzählt, wie sie tagelang die Todgeburt ihres Babys durch die Stadt trägt; ein Junge berichtet seitenlang über den sexuellen Missbrauch durch den Vater; ein Katzenmörder beobachtet intensiv den Todeskampf seines Opfers - der Leser ist immer hautnah dabei, er kann nicht entfliehen; David Foster Wallace fesselt einen sprachlich und emotional und macht einen dabei zum unfreiwilligen Zeugen, der man vielleicht nie sein wollte.

Und doch ist es gerade dieser Wust von Ereignissen, Charakteren, Emotionen und Handlungssträngen, der einen staunen und mitfiebern lässt und von dem man sich wünscht, er würde nie aufhören. 1200 Seiten mögen viel sein. Im Falle von DFW sind sie trotzdem zu wenig.

3 Kommentare:

  1. Hi ya, welcome to the infinite possibilities of the blogosphere. watt denn, wo ist denn deine freche berliner schnauze geblieben, frau literatin?

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  2. Kommt noch :-) Da werden unbedarfte LeserInnen ganz langsam herangeführt...

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  3. Hier noch ein kleiner Tipp: Ein Artikel über DFW von der New York Times, hatte ich im letzten Jahr aufgegabelt und wollte dann auch gleich Infinite Jest lesen, da kam aber einiges dazwischen.

    http://www.nytimes.com/2008/09/21/weekinreview/21scott.html?_r=2&pagewanted=1&ref=books

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