Janine: 200 Euro Strafe, Hedwig: 600 Euro Strafe und Lina: irgendwas dazwischen. Die seltsamen Statusmeldungen auf Facebook und Studivz lösen große Verwunderung aus. "Ist das dein neuer Bafögsatz?" will jemand wissen; "Brauchst du einen Anwalt?" fragt jemand anderes besorgt. Nein, warum plötzlich alle - und ausschließlich Frauen - eine Strafe zahlen müssen, das versteht Mann dann doch nicht. Google hilft; hier der dementsprechende Link dazu - es versteht sich von selbst, dass der dort angegebene Test vielleicht den jeweiligen PersonInnen anders vorlag:
http://www.gutefrage.net/frage/facebook-strafe
Hierbei handelt es sich um ein Spiel, bei dem Frau ihre Sünden addiert, aber der verdutzten Umwelt nur die Endsumme mitteilt. Mehrwert des Spieles: Frau soll sich amüsieren und außerdem ein Band der Solidarität zu ihren Schwestern spannen, indem sie die Männerwelt über die Herkunft der Summe im Unklaren lässt.
Hier ein paar der Sünden, die mit einem Geldwert gleich gesetzt werden können:
5. Sex mit 1 FaceBook-Freund 25€
9. Hast mit einem Ausländer geschlafen 20€
19.Du hast ihn mit seinem besten Freund betrogen 40€
25.Pornofilm/Pornofoto von Dir 15€
Das Gesamtkonzept des Tests erscheint mir aber - entgegen der Intention - weder lustig noch solidarisch. Da ist einmal das Wort Sünde, dass bei mir sämtliche Nackenhaare gen Himmel stehen lässt... Hat irgendwer wieder das Mittelalter eingeläutet und ich habe es verpasst?! Ist Sex an sich wieder ein neues Tabu geworden und bestrafen wir jetzt wieder Sünde und Perversion?
Auch die restliche Rhetorik des Threads lässt mich stutzen: Womit soll hier bitte Solidarität erzeugt werden? Durch gegen sich selbst gerichteten Sexismus? Den trägt der Test nämlich offen zur Schau, genau wie Rassismus und Homophobie - wird doch Oralsex nur mit 10 Euro geahndet, Sex mit einem Ausländer hingegen mit 20 Euro und natürlich kostet auch die Sünde des gleichgeschlechtlichen Geschlechtsverkehr einige Öcken mehr, als es das Blasen während der Autofahrt tut.
Und die vermeintlichen Kausalketten, die manche aus der Summe ihrer Sünden zu konstruieren scheinen, muten auch seltsam an. Sie lassen sich etwa so zusammenfassen: Dein Sündenregister läuft fast über? Herzlichen Glückwunsch, du bist eine moderne, selbstbewusste Frau, die ganz offen mit ihrer Sexualität umgeht. Wie? Das sollen all deine Sünden gewesen sein? Glaubst du nicht, dass du ein wenig langweilig und zugeknöpft bist? Sex is fun, go out and do it already!
Es ist traurig, was für Selbstbilder hier konstruiert werden. Selbstbilder, die sich scheinbar in einer Zahl, nein, einem Geldwert erschöpfen. Als bräuchte es ein dementsprechendes Preisetikett, um ein großes Wohlgefühl herzustellen; als bräuchte es viel Sex, um ein respektables Fremdbild zu erzeugen.
Dass sich auch heute noch genügend Frauen auf ihre Sexualität reduzieren lassen - oder, wie in diesem Fall, sich selbst darauf reduzieren - ist wohl die deprimierendste Erkenntnis, die sich aus dem Test gewinnen lässt. Dabei sollte Sex nie die Identität und das Selbstwertgefühl einer Person bestimmen oder gar als Ersatz für beide fungieren.
Seit einiger Zeit wünschen sich einige Facebook-NutzerInnen einen neue Funktion, die es einem ermöglicht, auf die vielen Statusmeldungen, die vielleicht auch solche Testergebnisse enthalten, zu reagieren. Die böte die richtige Antwort auf die scheinbar immer noch vielen auf den Herzen brennende Frage: Willst du wissen, mit wie vielen Leuten ich geschlafen habe? - und dann könnte man entspannt antworten: "Nee, nicht wirklich" und dazu den folgenden Button anklicken:
COULDN'T CARE LESS.
Montag, 12. April 2010
Montag, 15. Februar 2010
Der kurze schwarze Blick
Vor Beginn des Films fährt er noch kurz mit der Fingerkuppe über ein Fassbinderbüchlein, fasst sich ins graue, gepflegte Haar und rückt sich anschließend die Brille zurecht. Er ist der perfekte Berlinale-Besucher mit Cord Jacket und ohne aufgeregt wippendes Bein.
Das Licht geht aus.
'L'Indigène D'Eurasie" (nicht ganz falsch, aber doch den Kern des Films verfehlend als "Eastern Drift" übersetzt) nimmt seinen Anfang. Die monotone Erzählstimme aus dem Off, die sich erst wieder am Schluss einschalten wird, und die dröge aneinander klatschenden Wellen sind tongebend: "Vielleicht gibt es diese Geschichte", scheint uns ein behäbig dahin gleitendes Schiff zu sagen, "aber ich könnte auch eine andere erzählen."
Die Figuren nämlich, die sich immer nur kurz in einem anderen nackten Körper vergraben, und dann wieder fliehen, gen Westen, gen Osten, den Geliebten nach - doch allesamt in die Dunkelheit, sie sind nur Symbolträger einer Gesellschaft, in der die Anhaltspunkte und Sicherheiten abhanden gekommen sind. Deswegen verzichtet der Regisseur Sharunas Bartas auf eine genaue Handlungsführung, verlässt sich auf kurze Momentaufnahmen und schafft so ein Mosaik der Heimatlosigkeit, dem alle zu entkommen versuchen. Paris, Litauen und Moskau sind die Schauplätze dieser Fluchtversuche, die schon vorab zum Scheitern verurteilt zu sein scheinen. Zu schwermütig ist Gena, der Drogendealer, der nur noch einen letzten Deal plant; zu illoyal seine Partner; zu verzweifelt seine beiden schönen Freundinnen. Und so wird der Wunsch nach einem anderen, besseren Leben unausweichlich zum blutigen, aussichtslosen Alptraum; eine Spirale aus schlechten Entscheidungen, die der Antiheld des Films so emotionslos und resigniert hinnimmt wie dann am Schluss sein eigenes Ende.
Irgendwann in der Mitte des Films, als die russische Freundin Gefahr läuft, von zwei betrunkenen Kerlen belästigt zu werden, platzt dem perfekten Berlinale-Besucher neben mir der plötzlich der Kragen und er flüstert: "Die sind ja noch schlimmer als die Türken" etwas lauter, als beabsichtigt. Dass ist jetzt also auch Berlinale, denk ich mir. Der Normalo, der nur aus Prinzip nicht NPD wählen würde, schiebt halt seinen widerlichen Arsch in die gleichen Sessel wie Di Caprio (Fresse) und Dieter Kosslick. Jetzt schwafelt er mit fauligem Atem etwas von "Gegen die Wand" - er hat bestimmt für jedes überholte Klischee nen Film parat; vielleicht sein einziger Grund, Cineast zu spielen: die Untermauerung einer Weltanschauung, für nur 7 Euro.
Vor mir auf der Leinwand eine Panoramaaufnahme von Paris, dann eine von Moskau und schließlich eine von Litauen - sie wirken wie die Anfänge eines neuen und immer gleichen Kapitels, ein einziges Welt - und gleichzeitig Stimmungsbild - groß, dreckig, gefräßig. Auch Berlin ließe sich problemlos einreihen, denke ich, aus dem Kino in die Kälte fallend. Auch hier könnten Bartas' Figuren - L'Indigènes D'Eurasie: die Ureinwohner zweier Kontinente, überall zu finden und nirgendwo daheim - umherirren. Man würde sie nicht erkennen - vielleicht, weil man ihnen selbst schon zu sehr ähnelt. Der Moloch kriegt uns alle.
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Das Licht geht aus.
'L'Indigène D'Eurasie" (nicht ganz falsch, aber doch den Kern des Films verfehlend als "Eastern Drift" übersetzt) nimmt seinen Anfang. Die monotone Erzählstimme aus dem Off, die sich erst wieder am Schluss einschalten wird, und die dröge aneinander klatschenden Wellen sind tongebend: "Vielleicht gibt es diese Geschichte", scheint uns ein behäbig dahin gleitendes Schiff zu sagen, "aber ich könnte auch eine andere erzählen."
Die Figuren nämlich, die sich immer nur kurz in einem anderen nackten Körper vergraben, und dann wieder fliehen, gen Westen, gen Osten, den Geliebten nach - doch allesamt in die Dunkelheit, sie sind nur Symbolträger einer Gesellschaft, in der die Anhaltspunkte und Sicherheiten abhanden gekommen sind. Deswegen verzichtet der Regisseur Sharunas Bartas auf eine genaue Handlungsführung, verlässt sich auf kurze Momentaufnahmen und schafft so ein Mosaik der Heimatlosigkeit, dem alle zu entkommen versuchen. Paris, Litauen und Moskau sind die Schauplätze dieser Fluchtversuche, die schon vorab zum Scheitern verurteilt zu sein scheinen. Zu schwermütig ist Gena, der Drogendealer, der nur noch einen letzten Deal plant; zu illoyal seine Partner; zu verzweifelt seine beiden schönen Freundinnen. Und so wird der Wunsch nach einem anderen, besseren Leben unausweichlich zum blutigen, aussichtslosen Alptraum; eine Spirale aus schlechten Entscheidungen, die der Antiheld des Films so emotionslos und resigniert hinnimmt wie dann am Schluss sein eigenes Ende.
Irgendwann in der Mitte des Films, als die russische Freundin Gefahr läuft, von zwei betrunkenen Kerlen belästigt zu werden, platzt dem perfekten Berlinale-Besucher neben mir der plötzlich der Kragen und er flüstert: "Die sind ja noch schlimmer als die Türken" etwas lauter, als beabsichtigt. Dass ist jetzt also auch Berlinale, denk ich mir. Der Normalo, der nur aus Prinzip nicht NPD wählen würde, schiebt halt seinen widerlichen Arsch in die gleichen Sessel wie Di Caprio (Fresse) und Dieter Kosslick. Jetzt schwafelt er mit fauligem Atem etwas von "Gegen die Wand" - er hat bestimmt für jedes überholte Klischee nen Film parat; vielleicht sein einziger Grund, Cineast zu spielen: die Untermauerung einer Weltanschauung, für nur 7 Euro.
Vor mir auf der Leinwand eine Panoramaaufnahme von Paris, dann eine von Moskau und schließlich eine von Litauen - sie wirken wie die Anfänge eines neuen und immer gleichen Kapitels, ein einziges Welt - und gleichzeitig Stimmungsbild - groß, dreckig, gefräßig. Auch Berlin ließe sich problemlos einreihen, denke ich, aus dem Kino in die Kälte fallend. Auch hier könnten Bartas' Figuren - L'Indigènes D'Eurasie: die Ureinwohner zweier Kontinente, überall zu finden und nirgendwo daheim - umherirren. Man würde sie nicht erkennen - vielleicht, weil man ihnen selbst schon zu sehr ähnelt. Der Moloch kriegt uns alle.
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